Räumliches Denken

Einführung in das räumliche Denken

Was macht den Bildungsort Goethe-Universität Frankfurt aus?

Diese Storymap dient der Einführung in den Bereich des räumlichen Denkens und stellt dabei Bezüge zum Bildungsort Goethe-Universität Frankfurt her. Die nachfolgenden Inhalte stehen unter der Frage: Was macht den Bildungsort Goethe-Universität Frankfurt aus und wodurch ist er gekennzeichnet? 

Titelbild: Marie Oberndorfer, 2023

Was ist Räumliches Denken?

Räumliches Denken ist immer dann gefragt, wenn über räumliche Objekte und deren Eigenschaften bzw. räumliche Phänomene und Probleme gelernt, geforscht und diskutiert wird. Räumliches Denken ist für solche Fächer relevant, deren Erkenntnisinteresse mit natürlichen oder anthropogenen Bezügen zur Umwelt und somit zum "Raum" verbunden ist, wie z. B. Geographie und Geowissenschaften, Biologie und Umweltmodellierung, aber auch Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, Friedens- und Konfliktforschung.

In der Literatur gibt es verschiedene "Raum"-Begriffe, die je nach Frage- bzw. Problemstellung und dem damit verbundenen fachlichen Betrachtungskontext gültig sind. An dieser Stelle soll mit "Raum" zuächst ganz allgemein die Ausdehnung eines bestimmten Gebiets auf der Erdoberfläche verstanden werden.

Im Fach Geographie z. B. existieren zwei unterschiedliche Vorstellungen davon, was unter "Raum" verstanden werden kann, bzw. wie "Raum" als Forschungsgegenstand konzeptionalisiert, d. h. beschrieben und erfasst, werden kann. Man spricht hier auch von Raumperspektiven und unterscheidet zwischen:

  • Absolute Raumvorstellungen, wie z. B. Containerraum, Adressraum, Raum-Lage-Beziehungen und
  • Relationale Raumvorstellungen, wie z. B. Wahrnehmungsraum, Konstruierte Räume

Die Fähigkeit, räumlich Denken zu können, geht u.a. mit der Abstraktion und Generalisierung von räumlichen Gegebenheiten und Informationen einher, wie sie z.B. für das Erstellen, Lesen und Interpretieren von Karten notwendig sind. 

Relationale Raumkonzepte

Wahrnehmungsraum

elationale Raumkonzepte befassen sich, anders als in den zuvor beschriebenen Raumkonzepten, mit pluralen, d. h. individuell-unterschiedlichen Verständnissen und Konstruktionen räumlicher Wirklichkeit. Raum, Gesellschaft und Handlung werden dabei nicht mehr länger als wahrnehmungsunabhängige Konstanten gedacht (vgl. WARDENGA, 2002). 

Wahrnehmungsraum bezeichnet in diesem Kontext die Konstruktion von "Raum" als Resultat der Sinneswahrnehmung und ist mit der subjektiven Bedeutungszuschreibung an den „erlebten“ Raum alltäglicher Handlungen geknüpft. Räumliche Wirklichkeit wird dabei nicht als gegeben betrachtet, sondern als "scheinbar-realer" Raum, der von Individuen, Gruppen oder Institutionen individuell-unterschiedlich bewertet und eingeordnet, d. h. subjektiv wahrgenommen, wird. Der Wahrnehmungsraum zeigt damit auch immer ein selektives, subjektiv "verzerrtes" und interpretiertes Bild der „objektiven“ Wirklichkeit (vgl. WARDENGA, 2002).

Für Studierende, MitarbeiterInnen oder BürgerInnen hat der Bildungsort Goethe-Universität Frankfurt jeweils eine ganz eigene Bedeutung, die an dieser Stelle daher auch nicht abbildbar ist. Sie verbinden sie mit ihren subjektiven Wahrnehmungen, ihren sozialen Beziehungen zu diesem Raum und deren Ordnungsstrukturen.

Exemplarisch für die unterschiedlichen Wahrnehmungen des Bildungsortes Goethe-Universität Frankfurt soll an dieser Stelle ein kurzer Onlineartikel zum Neubau des Campus-Westend  "Am Campus scheiden sich die Geister"  stehen, verbunden mit der Frage: Wie nehmen Sie den Bildungsort Goethe-Universität Frankfurt wahr?

Konstruierte Räume

Schließlich können Räume aus der konstruktivistischen Perspektive als soziale, technische und gesellschaftliche Artefakte verstanden werden, die durch tägliches Handeln produziert und reproduziert werden - Räume werden gemacht. In diesem Kontext wird gefragt, wer mit welchen Interesse und unter welchen Bedingungen über bestimmte Räume kommuniziert (vgl. WARDENGA, 2002).

Es kommt zu einem grundlegenden Perspektivwechsel: Räume werden nicht mehr als natürlich gegeben (realistischer Raumbegriff), sondern als konstruierte Produkte sozialen Handelns gedacht (relationaler Raumbegriff). Unter dieser Voraussetzung eröffnet der "Raum"-Begriff dann auch weitere fachliche Bezüge, z. B. zu den Sozial- und Geisteswissenschaften und ihren angrenzenden Disziplinen.

Imagefilm der Goethe-Universität Frankfurt

So ist z. B. das selbstgeschaffene  Leitbild  der Goethe-Universität mit bestimmten Interessen und Ideen verknüpft, welche eine bestimmte Vorstellung des mit ihr verbundenen Raumes entstehen lassen oder hervorrufen sollen, wie der Imagefilm der Goethe-Universität Frankfurt zeigt. Natürlich zählt zu diesem positiven Narrativ für die Universität ihr Namenspatron:  Johann Wolfgang von Goethe .

Goethe in der römischen Campagna, 1787, gemalt von J. H. W. Tischbein (Quelle:  Wikimedia Commons , in Public Domain)

Räumliches Denken in Alltag und Studium

Spatial Thinking

Wie das mathematische oder logische Denken, ist auch das räumliche Denken eine eigenständige kognitive Fähigkeit, deren Ausprägung mit Erfahrungswissen im Alltagsgeschehen, aber auch im fachwissenschaftlichen Kontext, einhergeht. 

  • Im Alltagsgeschehen ist räumliches Denken hauptsächlich mit unserem Orientierungssinn und dem Suchen und Erreichen von spezifischen Orten verbunden. Hierfür nutzen wir internale und externale räumliche Repräsentationen, d. h. kognitive Landkarten (engl. mental maps) bzw. Karten, Wegeskizzen und verbale Ortbeschreibungen.
  • Aus fachlicher Sicht ist räumliches Denken z. B. mit der Konstruktion von Raum und seinen raum-zeitlichen Grundformen verbunden, wie für das Fach Geographie gezeigt. In den Geowissenschaften hingegen kommt es z. B. speziell auf die Fähigkeit an, naturräumliche Objekte in Karte (2D) und Gelände (3D) erkennen und mental rotieren zu können und z .B. auch im erdzeitlichen Verlauf in ihrer Gestalt zu transformieren (4D).   

Ein allgemein anerkannter Ansatz zum räumlichen Denken existiert bislang nicht. Allerdings wird mit dem Konzept des  Spatial Thinking  derzeit an einem fachunabhängigen Ansatz zur Förderung spezifischer räumlicher Fähigkeiten gearbeitet. Dieser beinhaltet sowohl Fähigkeiten zur räumlichen Orientierung als auch das fachliche Verständnis für raum-zeitliche Strukturen, Funktionen und Zusammenhänge von räumlichen Objekten, Phänomenen und Prozessen, siehe  Schulze & Ammoneit 2023 .

Fazit

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass räumliches Denken auf internalen und externalen Repräsentationen basiert, die es ermöglichen, Merkmale und Beziehungen zwischen räumlichen Objekten unserer Umwelt zu erkennen. Dabei kann es sich um reale oder abstrakte physische und soziale Phänomene, Prozesse und Sachverhalte handeln.

 In Bezug auf die Eingangsfrage nach dem Bildungsort Goethe-Universität Frankfurt können wir festhalten, dass wir ein und denselben Raumausschnitt aus unterschiedlichen Perspektiven beschreiben, charakterisieren und analysieren können und letztlich auch müssen, um verschiedene räumliche Sichtweisen und subjektive Bedeutungszuweisungen an unsere Umwelt nachzuvollziehen, zu bewerten und fachlich diskutieren zu können.

Campus Westend 2023, Marie Oberndorfer

Durch das Internet haben viele nützliche Werkzeuge Verbreitung gefunden, um räumliche Informationen und Repräsentationen zu kommunizieren. Digitale Geomedien, wie Onlinekarten, digitale Globen und schließlich auch Storymaps, sind mittlerweile zu einem festen Bestandteil unseres Alltags geworden. Dabei ist nicht nur der Umgang mit „traditionellen“ Karten, sondern auch der kompetente Umgang mit digitalen Geomedien als Kulturtechnik zu verstehen. Dies verlangt nicht nur technisches Wissen und Können, sondern auch eine kritisch-reflexive Haltung gegenüber medial transportierten Weltbildkonstruktionen.

Räumliches Denken sollte daher nicht nur als Ergebnis, sondern vielmehr als gewinnbringende Voraussetzung für ein erfolgreiches Studium in raumrelevanten Fächern angesehen werden. In diesem Zusammenhang steht am Ende unserer Storymap eine neue Frage: Welchen Bezug hast Du in Deinem Studium zu diesem spannenden Themenbereich?

Hungry Minds

Weitere Literatur zur thematischen Vertiefung bzw. zum Weiterlernen:

  • DICKEL, M. & D. KANWISCHER (Hrsg.) (2006): TatOrte. Neue Raumkonzepte didaktisch inszeniert. Münster. 
  • HARD, G. (1999): Raumfragen. In: Peter Meusburger (Hrsg.): Handlungszentrierte Sozialgeographie. Benno Werlens Entwurf einer kritischen Diskussion. Stuttgart, S. 133-162.
  • LÖW, M. (2001): Raumsoziologie, Frankfurt a.M. 2001. 
  • WARDENGA, U. (2002): Räume der Geographie – zu Raumbegriffen. https://homepage.univie.ac.at/Christian.Sitte/FD/artikel/ute_wardenga_raeume.htm (Zugriff: 05.11. 2015).
  • SCHULZE, U. & AMMONEIT, R. (2023): Spatial Thinking - Räumliche Orientierung auf der Erde mit Globus, Karte und digitalen Geomedien. In: Gryl, I., Lehner, M., Fleischhauer, T. & Hoffmann, K. W. (Hrsg.): Geographiedidaktik - Fachwissenschaftliche Grundlagen, fachdidaktische Bezüge, unterrichtspraktische Beisiele, Band 1.  https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-662-65730-0_26  (Zugriff: 17.01.2025)

Goethe in der römischen Campagna, 1787, gemalt von J. H. W. Tischbein (Quelle:  Wikimedia Commons , in Public Domain)

Campus Westend 2023, Marie Oberndorfer