Der Campus Westend
Irrenanstalt, Konzernzentrale, Hauptquartier & Deutschlands schönster Campus?
Herzlich willkommen zur digitalen Campus Westend Exkursion. Diese StoryMap wurde anlässlich des Deutschen Kongresses für Geographie im September 2023 von Valentina Tayyar, Marie Oberndorfer, Melanie Lauffenburger und Detlef Kanwischer entwickelt. Sie dient der Vor- und Nachbereitung einer Exkursion vor Ort. Kann aber auch genutzt werden, um den Campus auf eigene Faust vor Ort oder einfach nur virtuell zu erkunden. Los geht’s.
Exkursionsroute
Bevor wir mit unserer Tour starten, möchte wir Ihnen einen Überblick über den Ablauf geben. Der rote Faden unserer Führung liegt im dreifachen Blick, d.h. wir werden uns mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Campus auseinandersetzen. Insgesamt werden wir uns an 9 Standorten mit diesem Ort befassen. Die wechselvolle Vergangenheit wird insbesondere an den ersten 4 Standorten thematisiert. Danach werden wir Themen der Gegenwart besprechen, bevor wir einen Blick in die Zukunft wagen.
Allgemeine Informationen zur Goethe-Universität
Zahlen und Stiftungsuniversität
Die Goethe-Universität wurde im Jahr 1914 gegründet. Die Bürger von Frankfurt, angeführt von Persönlichkeiten wie Oberbürgermeister Franz Adickes, Industriellen wie Wilhelm Merton und insbesondere jüdischen Mitbürgern, leisteten finanzielle Unterstützung für die Universitätsgründung. Auf diese Weise entstand in Frankfurt die erste Stiftungsuniversität Deutschlands, die vollständig aus privaten Mitteln finanziert wurde.
Eine Universität - 5 Standorte
Die Goethe-Universität hat 16 Fachbereiche, die sich auf fünf Standorte verteilen.
Der ursprüngliche Gründungsstandort, Campus Bockenheim, wird perspektivisch aufgegeben und soll in einen Kulturcampus umgewandelt werden.
Der Campus Westend fungiert als Zentralcampus und beherbergt das Präsidium der Universität.
Gleichzeitig hat der Campus Riedberg, dank seiner naturwissenschaftlichen Fachbereiche den Ruf einer "Science City" erlangt.
Am Campus Niederrad wiederum befinden sich das Universitätsklinikum und Forschungseinrichtungen unter einem Dach.
Der Sportcampus Ginnheim, der fünfte und kleinste Campus, ist das Herzstück des Instituts für Sportwissenschaften und des Hochschulsports.
Rhein-Main-Universitäten
Die Goethe-Universität bildet seit 2004 zusammen mit der Joannes-Gutenberg-Universität Mainz und der Technischen Universität Darmstadt die Allianz der Rhein-Main-Universitäten (RMU). Diese Allianz ermöglicht erweiterte Studienangebote, Kooperationsprojekte und fächerspezifische Verbünde. Dies stärkt die internationale Sichtbarkeit und Attraktivität der Universitäten. Für die Studierenden bedeutet dies die Nutzung der Infrastrukturen aller drei Universitäten, wie beispielsweise Bibliotheken, sowie eine erleichterte Anerkennung von Studien- und Prüfungsleistungen an den anderen Hochschulen.
Das "Irrenschloss": Eine Anstalt für Irre und Epileptische
Auf dem Areal des heutigen Campus Westend stand im 19. Jahrhundert die Anstalt für Irre und Epileptische, die im Volksmund „Irrenschloss“ genannt wurde. Zu dieser Zeit war es eine moderne psychiatrische Einrichtung und eine der ersten in Frankfurt, die sich der medizinischen Betreuung von Menschen mit Epilepsie und anderen neurologischen und psychischen Erkrankungen widmete. Alois Alzheimer, der hier gearbeitet hat, entdeckte im Jahr 1901 die nach ihm benannte Krankheit. Das Gebäude des Irrenschlosses wurde im Deutschen (Gotischen) Stil errichtet, was ihm eine beeindruckende äußere Erscheinung verlieh. Doch im Jahr 1928 musste es aufgrund technischer Mängel abgebaut werden. Einige Teile des Originalgebäudes stehen jedoch noch heute in Niederrad, wohin die Anstalt verlegt wurde.
Das Ende der NS-Zeit und ihre Konsequenzen für die I.G. Farben
Nach dem Krieg standen die I.G. Farben Manager vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg. Im Jahr 1948 fanden Prozesse gegen sie statt. Die Manager wurden wegen Versklavung, Plünderung und Raub verurteilt. Insgesamt erhielten 13 Manager Haftstrafen, während 10 freigesprochen wurden. Die Strafen reichten von eineinhalb bis zu acht Jahren.
Einige Mitarbeiter der I.G. Farben wurden auch wegen ihrer Rolle in der Produktion von Zyklon B-Gasen angeklagt. Während der Prozesse wurde der Firmeninhaber Tesch zum Tode verurteilt, während andere freigesprochen wurden, da ihnen keine direkte Verwicklung nachgewiesen werden konnte. Nach Kriegsende wurde die I.G. Farben in 12 eigenständige Unternehmen aufgeteilt, von denen vier bis heute existieren: BASF, Höchst, Bayer und Casella.
Das Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa
Nach dem Krieg war das I.G. Farbengebäude trotz der intensiven Bombardierung Frankfurts weitgehend unbeschädigt. Als die Amerikaner 1945 eintrafen lebten viele Flüchtlinge und ehemalige KZ-Arbeiter auf dem I.G. Farben Gelände.
Unter der Leitung von General Dwight D. Eisenhower diente das Gebäude als Hauptquartier der US-Streitkräfte in Europa. Eisenhower und sein Einsatzkommando hatten eine entscheidende Aufgabe: die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung in der Nachkriegszeit. Dies umfasste die Etablierung einer funktionierenden Polizei, die Versorgung der Bevölkerung, die Suche nach Kriegsverbrechern sowie die Festlegung der Kriterien für die Entnazifizierung der deutschen Bevölkerung.
Besonders ist, dass Eisenhower nicht nur für die unmittelbare Nachkriegszeit zuständig war. Er spielte eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der heutigen Bundesländer und arbeitete an den Grundlagen für ein neues Grundgesetz. Insgesamt unterstreicht die Zeit, in der das I.G. Farben Gebäude als Hauptquartier der US-Streitkräfte diente, die historische Bedeutung dieses Ortes für die Gestaltung Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg.
Casino
Vom Hauptquartier zum Universitätscampus
Nach dem kalten Krieg und dem Abzug der US-Truppen in Deutschland gab es Diskussionen darüber, wie das I.G. Farbengebäude genutzt werden sollte. Es gab es einige Vorschläge, wie z.B. der Nutzung als Polizeipräsidium oder als Sitz der Europäischen Zentralbank.
Aufgrund der NS-Vergangenheit des Gebäudes erschien eine solche Nachnutzung aber als unangebracht. Schließlich kaufte das Land Hessen das Gelände für 148 Millionen DM als neuen Standort der Goethe-Universität.
Um die Räumlichkeiten im I.G. Farbengebäude den universitären Bedürfnissen anzupassen, wurden einige Umbauten vorgenommen. So wurden Büroflächen entkernt, Räume neu eingeteilt und Fluchttreppen hinzugefügt. Die Rotunde, das Foyer und die Treppenhäuser blieben im Originalzustand.
2001 wurde die Umbauphase abgeschlossen und die ersten Institute sind in das Gebäude eingezogen. Hiermit sind wir auch schon in der Gegenwart angekommen. Das restliche Campusgebäude wurde in den letzten 20 Jahren kontinuierlich erweitert, was wir uns am nächsten Standort genauer anschauen werden.
Der Campus Westeend als Hauptstandort
Ausgehend vom I.G. Farbengebäude hat sich der Campus Westend im Laufe der Jahre zum Hauptstandort der Goethe-Universität entwickelt. Der Umzug der Universität vom Campus Bockenheim auf den Campus Westend erfolgte in mehreren Phasen. 2001 sind die Geisteswissenschaften in das I.G.Farbengebäude eingezogen sind. Die zweite Phase umfasste den Umzug der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften sowie die Gründung des House of Finance, die im Jahr 2008 abgeschlossen wurde. In der dritten Phase wurden bis 2013 die Geisteswissenschaften, die Verwaltung, die Universitätsbibliothek und kleinere Fachbereiche auf den Campus Westend verlagert. Hiermit war der Ausbau aber noch nicht beendet. Aber dazu kommen wir später noch.
Die Campuserweiterung wurde von dem renommierten Architekten Ferdinand Heide entworfen. Sein Masterplan zielt darauf ab, eine integrative Designstruktur zu schaffen, die sich nahtlos in das historische I.G. Farben Gebäude einfügt. Es wird betont, dass dies nicht als Bruch mit der NS-Geschichte, sondern als verstärkende Ergänzung verstanden werden sollte. Dieser Ansatz hat jedoch auch kritische Diskussionen hervorgerufen und unterstreicht die Bedeutung der kritischen Reflexion in der Planung von Universitätscampen.