Taxi nach Kreuzberg
Eine Reise durch die Berliner Mauerzeit
Für Taxifahrer hingegen war dies hingegen ein lukrativer Auftrag, da die Strecke fast drei Mal so lang war.
Wir folgen jener Strecke vom Wedding nach Kreuzberg, welche von 1961 bis 1989 in West-Berlin die kürzeste Verbindung zwischen Bernauer Straße und Köpenicker Straße darstellte.

typisches Kienzle-Taxameter aus den 80er-Jahren
Wie kaum eine andere Straße in Berlin war die Bernauer Straße in ihrer gesamten Länge extrem vom Mauerbau betroffen, da die Grundstücksgrenzen auf der Südseite zugleich die Sektorengrenze bildeten, d.h. die Hausfassaden selbst bildeten die erste Mauer.
Zwischen August und Oktober 1961 spielten sich hier dramatische Ereignisse ab.

Ausschnitt aus der Karte K5, © SenBauWohn, 1988
Die Teilung der Stadt war auch in den offiziellen Stadtkarten des Senators für Bau- und Wohnungswesen gut zu erkennen. Der West-Teil im obigen Kartenausschnitt ist im zeitgenössischen Duktus mit aktueller Situation dargestellt, der Ost-Teil hingegen im historischen Duktus mit der Situation von 1949, da offiziell keine aktuellen Informationen über Ost-Berlin verwendet werden durften.

Blick über die Mauer in eine andere Welt
Die Fahrt nach Kreuzberg beginnt in der entlegenen östlichsten Ecke des Stadtbezirks Wedding. Hier in einer kurzen Sackgasse zwischen Mauer und dem Gelände des Güterbahnhofes Eberswalder Straße hatte die Stadtverwaltung wie an so vielen Stellen eigens eine Aussichtsplattform errichten lassen, die einen Blick über die Mauer erlaubte.

Aussichtsplattform als Touristenattraktion
Aber auch Einheimische kamen oft hierher, um einen wehmütigen Blick in die andere Stadthälfte zu werfen.

Erinnerungsfoto

Bernauer Straße 48
Ein 90°-Schwenk zur Rechten zeigt die gesamte Tristesse der Berliner Mauer in den ersten Jahren nach deren Errichtung am 13. August 1961. Zunächst wurden nur die Erdgeschosswohnungen zugemauert, was in den kommenden Wochen zu dramatischen Fluchtversuchen der Bewohner der oberen Stockwerke führte.

Flucht aus dem ersten Stock
Mit Hilfe von Anwohnern der nördlichen Straßenseite, West-Berliner Polizisten und Feuerwehren gelang so einigen Menschen die Flucht, bis im Herbst 1961 dann alle Wohnungen zwangsgeräumt waren.

Traurige Fassaden
Die Gebäude wurden in den Jahren nach 1963 schließlich bis auf die Straßenfassaden der Erdgeschosse abgetragen, um zu militärisch „übersichtlichen“ Verhältnissen unmittelbar an der Grenze zu kommen. Die Ruinenreste verdeckten bis Ende der 70er-Jahre die wenige Schritte dahinter errichtete und mit Stacheldraht bewehrte Betonmauer. (Wiki)

Fluchtsprung
Besonders spektakulär verlief die Flucht von Michael und Willy Finder am 7. Oktober 1961, als diese nacheinander aus dem 4. Stock ihres Mietshauses in ein Sprungtuch der West-Berliner Feuerwehr sprangen.

Versöhnungskirche
Das letzte noch verbleibende Gebäude im sogenannten Todesstreifen war die 1892 erbaute Versöhnungskirche, deren Zugänge zum Teil in die Grenzbefestigung eingemauert waren.

Luftbild der Versöhnungskirche
Durch den Mauerbau am 13. August 1961 verschärfte sich die Grenzsituation der Versöhnungsgemeinde drastisch, denn bereits am 21. August wurde das Hauptportal der Kirchenmauer – etwa zehn Meter vor dem Gebäude – drei Meter hoch zugemauert. Den West-Berliner Gemeindegliedern war es von nun an nicht mehr möglich, die Kirche zu besuchen, da sich die Kirche sowie das Pfarr- und Gemeindehaus im Ostteil Berlins befanden. Ab dem 23. Oktober 1961 durfte die Kirche auch von Ost-Berliner Kirchgängern nicht mehr besucht werden. Sie befand sich im Todesstreifen und wurde zunächst geschlossen. (Wiki)

Sprengung der Versöhnungskirche
Später wurde der Kirchturm von DDR-Grenztruppen als Wachturm mit MG-Geschützstand genutzt. Am 22. Januar 1985 veranlasste die DDR-Regierung die Sprengung der Kirche und sechs Tage später auch die des Turmes. Der Sprengungsbefehl wurde vom Staatssekretär für Kirchenfragen, Klaus Gysi, unterzeichnet. (Wiki)

Bernauer Straße/Ecke Gartenstraße
Im weiteren Verlauf des Weges nach Kreuzberg müssen wir jetzt scharf nach rechts in die Gartenstraße abbiegen, da die Mauer hier einen rechtwinkeligen Knick vollzieht. Das Werbeplakat mit sehnsuchtsvollem Sonnenuntergang ist auf jene Mauer montiert, die den Eingang zum unterirdischen S-Bahnhof Nordbahnhof versperrt.

Stettiner Tunnel
Auf der linken Seite der Gartenstraße befindet sich das ehemalige Gelände des Stettiner Bahnhofs, gut zu erkennen an der typischen Umfassungsmauer aus gelblichen Klinkersteinen, welche einen Teil der Grenzbefestigung bildete.

Liesenbrücken
Einige Meter weiter erreichen wir die sogenannten Liesenbrücken, die wir in einem Kreisverkehr unterqueren müssen.

Gustav Wunderwald
Das mächtige Stahlskelett inspirierte schon 1927 den Maler Gustav Wunderwald (1882–1945) zu einem seiner Hauptwerke „Brücke über die Ackerstraße“. Trotz der Änderungen in den Nachkriegsjahren besitzt das verbliebene Brückenbauwerk, wie es in der Berliner Denkmaldatenbank heißt, „noch immer eine monumentale Erscheinung. Die haushoch aufragenden Fachwerkträger, die in die umliegenden Straßen hineinwirken“, seien Ausdruck der hoch entwickelten Ingenieurbaukunst im wilhelminischen Deutschland. (Wiki)

Mauerreste an der Liesenstraße
Auch die weiterführende Liesenstraße verläuft parallel zur Mauer.

Friedhöfe an der Liesenstraße
Auf den drei südlich der Straße gelegenen Friedhöfen und den bis zur Chausseestraße anschließenden Grundstücken wurde ein Grenzstreifen angelegt und in den folgenden Jahrzehnten immer weiter ausgebaut. Auf dem ehemaligen Friedhofsgelände war dieser Grenzstreifen 40 Meter, an einigen Stellen sogar bis zu 120 Meter tief.

Grenzanlagen an der Liesenstraße
Der Zugang zu den Friedhöfen südlich der Liesenstraße war nur noch über einen kleinen, gemeinsamen Eingang in der Wöhlertstraße möglich und auch nur direkten Angehörigen der hier beerdigten Personen unter strengen Auflagen gestattet. Es gab sogar Pläne, die Friedhöfe vollständig zu beseitigen, diese wurden aber nicht realisiert. Trotzdem wurden die Begräbnisstätten durch die Abräumung im Grenzteil, durch Zerstörungen im Grenzbetrieb und nicht zuletzt durch Vandalismus und Souvenirjäger nach der Öffnung der Berliner Mauer teilweise sehr stark beschädigt. (Wiki)

Grenzübergang Chausseestraße
Hier am Grenzübergang Chaussestraße müssen wir nach rechts abbiegen, da ein Transit durch Berlin-Mitte für West-Berliner nicht erlaubt war.

Boyenstraße
Bevor wir an der nächsten Kreuzung nach links in die Sellerstraße abbiegen, knickt der Mauerverlauf schon bereits an der Boyenstraße Richtung Südwesten ab.

Heidestraße
Nach Überquerung der 1970 zur Verkehrsentlastung gebauten Nordhafenbrücke biegen wir ein weiteres Mal links ab in die langweilige Heidestraße, welche zwischen den Güterbahnhöfen der Hamburger und der Lehrter Bahn hindurch führt und fahren nun erstmals in südlicher Richtung unserem Ziel in Kreuzberg entgegen. Die Verkehrsdichte hat schon deutlich zugenommen, da sich hier der gesamte Autoverkehr aus Wedding und Reinickendorf mit Ziel Kreuzberg/Schöneberg bereits bündelt.

Lehrter Stadtbahnhof
Der Lehrter Stadtbahnhof war von 1882 bis 2002 ein Personenbahnhof im Zentrum Berlins. Dieser verlor nach 1951 stark an Bedeutung, da der Umstieg zum alten Lehrter Bahnhof entfiel. Auf der Stadtbahnstrecke war der S-Bahnhof nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 in Richtung Osten der letzte im Westteil Berlins, der folgende Bahnhof Berlin Friedrichstraße lag bereits im Sowjetischen Sektor und büßte durch die Lage in unmittelbarer Nähe zur Mauer noch erheblich weiter an Bedeutung ein.

Schweizerische Botschaft
Die Abrissarbeiten für die Welthauptstadt Germania und den Zweiten Weltkrieg überstand die Botschaft als einziges Bauwerk im Spreebogen ohne gravierende Schäden. Nach Beginn der Bombenangriffe war die Botschaft im Schloss Rauschendorf bei Sonnenberg untergebracht worden. In der Schlussphase der Schlacht um Berlin diente das Botschaftsgebäude Ende April 1945 der Roten Armee als Stützpunkt bei der Eroberung des Reichstags. (Wiki)

Entlastungsstraße
Nach dem Bau der Berliner Mauer im August 1961 wurde eine neue Nord-Süd-Verbindung in West-Berlin notwendig, da mit der Schließung der Grenze die Durchquerung Ost-Berlins nicht mehr möglich war, sich die Verkehrsströme verlagerten und Teile des bestehenden Straßennetzes um den Großen Stern überlasteten. Um rasche Abhilfe zu schaffen, wurde in nur 44 Tagen Bauzeit eine 1,2 Kilometer lange Schneise durch die Parkanlagen des Großen Tiergartens geschlagen und eine Straße angelegt. Sie begann nahe der damaligen Schweizerischen Delegation im Spreebogen unweit des Reichstagsgebäudes, passierte den Platz der Republik und kreuzte dann die Straße des 17. Juni, um anschließend weiter bis zur Lennéstraße am Südrand des Parks zu verlaufen und in die Potsdamer Straße überzugehen. (Wiki)

Verkehrsschneise durch den Tiergarten
Da die Entlastungsstraße eine bedeutende Parkanlage zerteilte, galt sie weithin als Schandfleck. Für den Straßenverkehr West-Berlins wurde sie allerdings als unverzichtbar angesehen. Auch für den ÖPNV, denn die Buslinie A83 der Berliner Verkehrsbetriebe stellte über die Entlastungsstraße eine direkte und schnelle Verbindung zwischen den Bezirken Wedding und Schöneberg her. Daher kam ein Rückbau über Jahrzehnte nicht in Frage. In den späten 1970er Jahren gab es sogar Überlegungen, die Entlastungsstraße als Teilabschnitt der Westtangente A 103 erheblich zu einer Stadtautobahn auszubauen. (Wiki)

Potsdamer Platz um 1986
Die Strecke bis zur Bernburger Straße kann jetzt nur noch zu Fuß zurückgelegt werden, da diese durch Fußgängerzonen entlang der Potsdamer-Platz-Arkaden, den Tilla-Durieux-Park und über die Bernburger-Treppen verläuft.

Luftbild Potsdamer Platz
Vor 30 Jahren war dies noch eine öde Gegend, bevor hier die größte Baustelle Europas entstand.

Bellevue-Tower
Zu den Vorbereitungen der künftigen Neubebauung gehörte auch die Sprengung des Bellevue-Towers an der Eichhornstraße im Oktober 1993. Das mit Waschbeton verkleidete 14-geschossige Hochhaus war 1971 als einer der wenigen Neubauten im Umfeld des Potsdamer Platzes errichtet worden. Ursprünglich als Hotel genutzt, wurde der Bellevue-Tower später zum Wohnheim für Studenten und Asylbewerber und trug zuletzt deutliche Zeichen von Verwahrlosung. (Wiki)

M-Bahn
Wir unterqueren die Versuchsstrecke der M-Bahn zwischen Gleisdreieck und Kemperplatz beim Bahnhof Bernburger Straße.

Askanischer Platz
Durch die Bernburger Straße an der alten St.-Lukas-Kirche vorbei geht es weiter zum Askanischen Platz mit dem noch verbliebenen Fragment des Portikus des ehemaligen Anhalter Bahnhofs.

Kochstraße/Ecke Friedrichstraße
Wir fahren über die Anhalter Straße, dann nach links in die Wilhelmstraße, weiter nach rechts in die Kochstraße. An der Ecke zur Friedrichstraße ist es nicht mehr weit zum dortigen Grenzübergang, weltweit bekannt unter dem Namen Checkpoint Charlie.

Axel-Springer-Hochhaus
Wir passierendas markante Axel-Springer-Hochhaus mit seinen 19 Geschossen und 78 Metern Höhe, welches der konservative Verleger trotz zahlreicher Kritiker in unmittelbarer Nähe der Sektorengrenze als seinen "Schrei gegen den Wind" errichten ließ.

Moritzplatz
Wir fahren weiter entlang der Oranienstraße bis zum Moritzplatz. Hier befand sich bis zum Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989 der Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße.

Sebastianstraße
Nach ein paar Metern biegen wir nach links ein in die Luckauer Straße, die uns zur Sebastianstraße führt.

Waldemarstraße 1973
Entlang der Waldemarstraße führt uns der Weg weiter über den ehemaligen Luisenstädtischen Kanal bis zum Mariannenplatz.

Mariannenplatz
„Mariannenplatz, rot verschrien - ich fühl' mich gut, ich steh' auf Berlin“ (Ideal, Berlin 1980) Am Mariannenplatz sind das frühere Krankenhaus Bethanien, das heute als Künstlerhaus Bethanien bezeichnet wird, sowie das Kulturamt des Bezirks beheimatet. Hier steht auch das ehemals besetzte Georg-von-Rauch-Haus, das nach Georg von Rauch, einem Mitglied des Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen, benannt wurde, der von einem Polizisten erschossen worden war. Der linke deutsche Rockmusiker Rio Reiser wohnte zeitweise hier, und seine Band Ton Steine Scherben verewigte den Mariannenplatz in der Hausbesetzer-Hymne Rauch-Haus-Song vom Album "Keine Macht für Niemand" (1972). (Wiki)

Bethaniendamm
Die Mauer am Bethaniendamm verlief so nah an den Häusern, dass es nicht erlaubt war, mit Kraftfahrzeugen dort entlang zu fahren, so dass wir einen weiteren Umweg über die Manteuffelstraße in Kauf nehmen müssen.

Köpenicker Straße
Nach umständlicher Fahrerei über 13 Kilometer sind wir endlich in der Sackgasse der Köpenicker Straße angekommen. Das Taxameter zeigt 35 Mark an, der Fahrer freut sich.

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