Femi(ni)zide
Patriarchale Gewalt sichtbar machen

Was bedeutet Femi(ni)zid?
Femi(ni)zide sind Morde an Frauen, Mädchen, Lesben, Inter- und Trans*personen zur Absicherung und Wiederherstellung patriarchaler Herrschaft . Diese Morde geschehen nicht „einfach“, weil eine Frau eine Frau ist. Frauen werden ermordet aufgrund von brachialen Geschlechterverhältnissen, die gesellschaftlich und nationalstaatlich abgesichert sind. Der Begriff Femi(ni)zid ist in unseren Augen eine politische Benennung und ein Instrument im Kampf gegen bestehende Machtstrukturen und Gewaltverhältnisse.
Hinweis: Wenn wir von Frauen sprechen, verstehen wir darunter alle Personen, die sich als solche verstehen oder als solche gelesen werden. Wir schreiben Femi(ni)zid, um die Begriffe Femizid und Feminizid zu kombinieren, die auf verschiedene feministische Kämpfe zurück gehen (wie im Folgenden erklärt wird).
Globale Perspektiven
Patriarchale, hierarchische Geschlechterverhältnisse sind Realität für Frauen und Mädchen, Queers, Inter- und Trans*personen auf der ganzen Welt. An dieser Stelle möchten wir deswegen Femi(ni)zide auf der globalen Ebene betrachten. Damit wollen wir deutlich machen, dass es sich um den extremen Ausdruck eines strukturellen Gewaltverhältnisses handelt. Hierzu werden wir die Situation in einigen Ländern beispielhaft beleuchten, denn unterschiedliche Formen der Gewalt gegen FMLTI (also Frauen, Mädchen, Lesben, Trans und Inter) gestalten sich nicht überall auf der Welt gleich. Vielmehr werden sie gesellschaftlich und staatlich - zum Beispiel auf der juristischen oder diskursiven Ebene - unterschiedlich abgesichert. Daher erscheint uns eine genauere Betrachtung der Situation in verschiedenen Ländern sinnvoll.
In einem von uns organisierten, digitalen Panel haben wir über dekoloniale, feministische Kämpfe und queering im Kontext von Femi(ni)ziden gelernt. Sprecher*innen waren Aleida Lujan Pinelo , Sohela Surajpal und Thiago Galván . Das Panel hat uns verdeutlicht, dass wir als Aktivist*innen und Akademiker*innen aus dem globalen Norden insbesondere nicht-eurozentristische Positionen zuhören müssen, um von ihnen zu lernen und gemeinsam zu kämpfen. Um auf internationaler Ebene solidarisch zu sein und Widerstände bilden zu können, braucht es ein dekoloniales, intersektionales und queeres Verständnis von Femi(ni)ziden.
Jana Bleckmann eine Mind Map erstellt, welche die Diskussionsergebnisse des Panels abbildet:
Mind Map of the Digital Panel: "Learning from decolonial feminist struggles - on the visibilization of femi(ni)cides" (erstellt von Jana Bleckmann)
Lesehinweise zur Karte
Die Beiträge in der Karte sind in vier Bereiche geordnet. Unten links in der Karte findet sich eine Legende als Übersicht. Es lassen sich auch einzelne Punkte über die Legende anwählen.
- Begriffsgeschichte in Blau: Stationen der Begriffe Femizid, Feminizid, Femi(ni)zid. Es handelt sich nicht um eine lineare Entwicklung, auch wenn einige zentrale Schritte ausgemacht werden können.
- Juristische Rahmung in Rot: Hier versammeln sich Informationen zu Statistiken und Länderberichten sowie zu wichtigen Abkommen wie der sogenannten "Istanbul-Konvention" ( Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ).
- Kontextspezifische Formen von Femi(ni)ziden in Grün: Unter dieser Kategorie sind an Ankerbeispielen unterschiedliche Formen femi(ni)zidaler Gewalt versammelt.
- Widerstände in Lila: Hier findet ihr Beispiele für feministische Widerstände und Bewegungen gegen Femi(ni)zide.
This world is under construction... Bildnachweis: @solange_theproject
Hinweis: Diese Karte ist ein laufender Arbeitsprozess! Ein ausführliches oder gar vollständiges Bild kann hier nicht gezeichnet werden. Bei der Auswahl der Beispiele haben wir nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und sind bemüht, unseren impliziten bias zu reflektieren. Wir wollen an Ankerbeispielen Dimensionen femi(ni)zidaler Gewalt aufzeigen; in keinem Fall soll es darum gehen, vermeintlichen „Kulturräumen“ etwas zuzuschreiben. Dabei muss beachtet werden, dass keine globalen Standards für die Erhebung von Daten und Statistiken existieren. Dies muss bei dem Vergleich von Zahlen aus unterschiedlichen Ländern beachtet werden. Diese Karte soll weiter wachsen. Bisher gibt es noch viele weiße Flecken, die natürlich nicht bedeuten, dass dort nichts passiert! Wenn ihr Anregungen, kritische Hinweise und vor allem Ergänzungen habt, meldet euch bitte bei uns. Ihr findet uns bei Twitter , Facebook oder erreicht uns via E-mail unter femgeo_ffm (at) protonmail.com.
Formen der Gewalt
Das Rad der Gewalt verdeutlicht, das intime Partnergewalt sich aus verschiedenen Formen der Gewalt zusammensetzt. Im Zentrum der Gewalt steht Macht und Kontrolle, die durch historisch gewachsene Gesellschaftsstrukturen über Frauen, Mädchen, Lesben, Inter- und Trans*personen entwickelt wird. Bildnachweis ZIF
Der Kampf gegen Gewalt an FMLTI hat seit den 1970er Jahren durch Demonstrationen und Aktionen, öffentlichkeitswirksame Kampagnen und die Gründung von Frauenberatungsstellen, Frauennotrufen und Frauenhäusern das Thema Gewalt gegen FMLTI in Deutschland aus dem privaten Tabu in das öffentliche Bewusstsein gebracht. Vor allem häusliche Gewalt, also die Gewalt gegen Ehepartner*innen oder Beziehungspartner*innen, ist seitdem wesentlich stärker öffentlich verurteilt. Auch die Strafverfolgung hat zugenommen. Im letzten Jahrzehnt frischte die Debatte, angeregt durch Kritik in den sozialen Medien wie #MeToo oder Proteste auf der Straße wie #NiUnaMenos, wieder auf. Dabei wird nicht nur die Gewalt in Beziehungen kritisiert, sondern auch andere Formen der Gewalt wie sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz oder im öffentlichen Raum, Stalking und Cybermobbing.
Vor allem spektakuläre Fälle, die in den Medien skandalisiert werden, führen zu einer öffentlichen Empörung, die schnelle Maßnahmen von Seiten des Staates fordern. Dazu zählen vor allem Morde an Frauen oder Vergewaltigungen junger Mädchen. Gewalt gegen FMLTI ist jedoch wesentlich verbreiteter als diese Skandalisierungen vermuten lassen: Solche Fälle bilden nur die Spitze des Eisbergs. So stellte Margrit Brückner (eine Soziologin, die zu dem Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen forscht) bereits in den 1990er Jahren fest:
„Spektakuläre Fälle von Gewalt gegen Frauen und Mädchen erregen zwar kurzfristig Aufmerksamkeit, verhindern aber einen klaren Blick auf alltägliche Formen von Gewalt, bei denen die Taten nicht offensichtlich grausam, die Täter weniger oder überhaupt nicht schreckenerregend, sondern eher durchschnittlich oder armselig, und die Opfer nicht ohne Fehl und Tadel, manchmal nicht leicht zu verstehen und nicht immer leicht sympathie- oder mitleiderheischend sind.“ (Brückner 2002, S. 15)
Die umfassendste Prävalenzstudie zu Gewalt gegen Frauen in Deutschland wurde 2004 von Ursula Müller und Monika Schröttle durchgeführt ( Müller und Schröttle 2004 ; Schröttle 2017). In den Studien wird bislang nur die Gewaltebtroffenheit von cis-Frauen und -Mädchen untersucht. In den letzten Jahren werden vermehrt die Zahlen der Kriminalistischen Auswertung zu Partnerschaftsgewalt des BKA verwendet. Daraus wird deutlich, dass über 81% der Betroffenen von Partnerschaftsgewalt Frauen sind. Nach den aktuellsten Auswertungen durch die FRA – die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte – erfährt jede dritte Frau in Deutschland mindestens einmal in ihrem Leben physische und/oder sexualisierte Gewalt (FRA – Agentur der Europäischen Union für Grundrechte 2014). Etwa jede vierte Frau wird mindestens einmal Opfer körperlicher oder sexueller Gewalt durch ihren aktuellen oder früheren Partner. Betroffen sind Frauen aller sozialen Schichten.
Femi(ni)zide in Deutschland
Zur Datenlage in Deutschland: Statistik zu Partnerschaftsgewalt
Seit 2015 erhebt das Bundeskriminalamt (BKA) in Deutschland eine Statistik zu Partnerschaftsgewalt in Deutschland . Im Jahr 2019 waren es 111 vollendete und 190 versuchte Tötungen an Frauen von ihren (Ex-)Partnern.
Diese Zahlen müssen aus folgenden Gründen jedoch kritisch betrachtet werden:
- Der Bericht des BKAs beruht auf Daten der Landeskriminalämter (LKAs). Diese 16 Einrichtungen der deutschen Landespolizeien erfassen die Daten jedoch mit unterschiedlichen Methoden und in unterschiedlichem Umfang, so dass die Zahlen nicht uneingeschränkt mit einander vergleichbar sind.
- In die Statistik fließen ausschließlich polizeiliche Daten ein (das sogenannte „Hellfeld“); weitere Daten beispielsweise von Frauenhäuser werden hier nicht dargstellt.
- Trans-Frauen und Personen, die sich unabhängig von dem behördlich erfassten Geschlecht als weiblich verstehen, werden nicht erfasst.
- Die Statistik berücksichtigt nur die Morde an Frauen innerhalb einer Partnerschaft. Doch Femi(ni)zide aufgrund von patriachalen Gesellschaftsstrukturen und männlichen Herrschaftsansprüchen geschehen auch außerhalb von Paarbeziehungen. Dieser „blinde Fleck“ findet in Deutschland bislang kaum Beachtung.
Neben dieser offiziellen Statistik gibt es weitere Gruppen und Einzelpersonen, die (wie wir) Daten zu Femi(ni)ziden in Deutschland sammeln oder gesammelt haben. Dazu findet ihr unten bei "Widerstände" weitere Infos.
Und der Staat?
In Deutschland ist (im Gegensatz zu anderen Staaten wie z.B. Mexiko) Femi(ni)zid kein eigener Straftatsbestand. Im August 2018 stellte die Partei die Linke eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zum Thema „Geschlechterspezifische Tötung an Frauen – Femizide in Deutschland“. Ergebnis: Die Frage, ob Femi(ni)zide in Deutschland vorkommen, konnte von der Bundesregierung nicht beantwortet werden, da sie schlichtweg über keine Definition des Begriffs verfügt. Diese Antwort der Bundesregierung macht einmal mehr deutlich, wie unerlässlich eine Benennung von Morden an Frauen als Femi(ni)zid ist. Zudem benötigt es differenzierte statistische Erfassung von (tödlicher) Gewalt an Frauen, um die „Sprachlosigkeit“ der Bundesregierung zu überwinden.
Im November 2020 hat ebenfalls die Linke einen Antrag gestellt, in dem sie unter anderem fordert, dass Femizide als solche offiziell anerkannt werden sollen. Sie fordern zudem die Einrichtung einer unabhängigen Beobachtungsstelle sowie verschiedene Maßnahmen gegen Femizide, darunter auch den Ausbau des Hilfesystems. Der Antrag wurde im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kontrovers diskutiert . Was weiter geschieht bleibt abzuwarten. Der Antrag bezieht sich auch auf die Istanbul-Konvention , ein europäisches Abkommen zur Bekämpfung von häuslicher Gewalt, das auch Deutschland ratifiziert hat. Doch die Umsetzung ist immer noch ungenügend. So gibt es etwa zu wenig Frauenhäuser . Zudem gilt die Istanbul Konvention in Deutschland nicht vorbehaltlos und nur mit Einschränkungen gegenüber den Rechten von Frauen mit Flucht- oder Migrationshintergrund .
Die Rolle Deutscher Medien
Medien haben einen erheblichen Einfluss auf unsere Wahrnehmung von der Welt, sie informieren uns, klären uns auf und stellen so gesellschaftlichen Konsens her. So auch in Bezug auf Geschlechterrollen, der Gleichstellung von Frauen und Männern und der Problematisierung von Gewalt an Frauen:
Umgang der Medien mit Gewalt an Frauen (Quelle: Gender Equality Media )
Welche Rolle deutsche Medien insbesondere in Bezug auf Femi(ni)zide haben, problematisiert die Initiative Gender Equality Media . Sie kritisieren die sprachliche Verharmlosung von Gewalt an Frauen. Ihre Recherche legt offen, wie Gewalt an Frauen als „Familiendrama“ oder „Beziehungstat“ verharmlost wird. Sie macht sichtbar, welche Medien besonders verharmlosend über Femi(ni)zid berichten:
Sprachliche Verharmlosung von Femi(ni)ziden in den Medien (Quelle: Gender Equality Media )
Zwar ist 2019 der Begriff Femizid in deutschen Medien so oft wie noch nie genannt worden, doch ist eine kritische und reflektierte Berichterstattung in Bezug auf (tödliche) Gewalt an FMLTI immer noch die Ausnahme. Deshalb fordert Gender Equality Media, dass deutsche Medien endlich beginnen müssen ihre Berichterstattung zu überdenken und sich von sexistischen und rassistischen Zuschreibungen zu distanzieren.
Die Initative hat für 2020 ein Medienscreening durchgeführt, welches die verharmlosende Berichterstattung über Femizide verdeutlicht und das Ausmaß an Femi(ni)ziden in Deutschland sichtbar macht:
(sexualisierte) Gewalt gegen Frauen in 2020 und die Berichterstattung darüber (Quelle: Gender Equality Media )
Femi(ni)zide in Hessen 2018
**Triggerwarnung** - ab hier werden auch Gewaltanwendung und Tötungen beschrieben
Im folgendem Abschnitt werden wir unsere eigene Recherche, die wir in Form einer "Hessen-Karte" zusammengetragen haben, vorstellen.
Annahmen, die sich in der Hessen-Karte bestätigen:
... Morde geschehen vor allem dann, wenn FLMLTI eine Beziehung beenden wollen.
... Morde erhalten meist dann Aufmerksamkeit, wenn Täter als Migranten gelesen werden.
… Femi(ni)zide, bei denen der Täter als Migrant gelesen wird, gehen oftmals einher mit einer rassistischen Berichtserstattung.
... über häusliche Gewalt wird deutlich weniger berichtet als über Gewalt, die im öffentlichen Raum und scheinbar willkürlich passiert.
Beobachtungen, die wir mit der Hessen-Karte machen:
…. Der Begriff „erweiterter Suizid” (also ein Mord mit folgendem Selbstmord des Täters) signalisieren eine scheinbare Freiwilligkeit der Opfer „in den Tod zu gehen“. Das ist keinesfalls belegt. Stattdessen konstruiert es einen vermeintlichen Besitzanspruch des Täters über das Opfer.
… das Gewaltschutzgesetzes (eine der größten rechtlichen Errungenschaften der Kämpfe gegen geschlechtsbasierte Gewalt in Deutschland) findet kaum Erwähnung in Medien. Wird es von der Polizei nicht angewandt? Oder blenden die Medien es aus?
… Morde an der eigenen Mutter sind ebenfalls Femi(ni)zide. Auch hier sind häufig scheinbare Besitzansprüche ein Motiv.
Lesehinweise: Für die Karte haben wie möglichst viele Informationen aus Medien gesammelt. Das birgt die Gefahr, Vorurteile oder verwendete reißerische Sprache zu reproduzieren. Ausschließlich „harte“ Fakten (Alter, Tatort etc.) genügen allerdings nicht, um die Besonderheiten von Femi(ni)ziden – wie die Täter-Opfer-Beziehungen, Formen der Gewalt, Motive usw. –zu verstehen und zu diskutieren. Wir distanzieren uns von voyeuristischen, verharmlosenden Darstellungen in den Medien. Alle Koordinaten der Fälle wurden willkürlich in der Region der Taten gesetzt und geben nicht den tatsächlichen Tatort wieder. Auch wenn wir versucht haben, in unseren Recherchen FLMTI zu berücksichtigen, konnten wir in den Medien und in der Polizeistatistik nur Morde an cis-Frauen und Mädchen finden.
Femi(ni)zide_Hessen_2018
Durch unsere Recherche konnten wir 17 Femi(ni)zide für das Jahr 2018 in Hessen identifizieren.
Um diese Zahl einordnen zu können, nennen wir einige polizeiliche Zahlen aus dem Jahr 2018, die sich auf Frauen beziehen: In diesem Jahr gab es in Deutschland 118 vollendete Tötungsdelikte gegen Frauen, die in Beziehungen zu den Tätern standen. In Hessen gab es insgesamt 55 Straftaten gegen das Leben von Frauen. Davon sind 17 als Mordfälle, 8 als Totschlag und 30 als fahrlässige Tötungen klassifiziert. 13 Taten fanden in Partnerschaften statt und in 11 informellen sozialen Beziehungen. Wiederum 17 sind Fälle von Mord & Totschlag gegen weibliche Familienangehörige.
- Die getöteten Frauen waren zwischen 14 bis 93 Jahre alt (die meisten zwischen 30 – 40 Jahren)
- In 11 Fällen wurde eine Waffe bzw. ein Gegenstand genutzt, in 7 Fällen wurden die Frauen durch Schläge oder Würgen getötet.
- In 9 Fällen standen die Betroffenen in einer Liebesbeziehung zu dem Täter. In einem Fall wurde in dem Bericht beschrieben, dass sich die Betroffene zuvor von dem Täter trennen wollte.
- In einem Fall standen die Betroffene und der Täter in einer freundschaftlichen Geschäftsbeziehung, in drei Fällen waren die Betroffenen die Mütter der Täter und in einem Fall bestand eine (vermutlich) flüchtige Bekanntschaft.
- In 2 Fällen nahm sich der Täter nach dem Mord das Leben.
- Die Tatorte sind sehr ähnlich: In 13 Fällen war es die Wohnung der Betroffenen oder des Täters, bzw. die gemeinsame Wohnung. Wiederum in 3 Fällen war der Tatort draußen in einem Park, an einem See oder einem Weg. Einmal war der Tatort eine Straße.
- In nur 5 Fällen ist in den Medienberichten dokumentiert, dass Familienmitglieder, Freund*innen oder Nachbar*innen die Polizei oder einen Krankenwagen riefen. Interventionen des Umfelds können Leben retten und sollten öffentlich benannt und geschätzt werden.
- In 4 Fällen wurde der Täter wegen Totschlags, in 4 Fällen wegen Mordes verurteilt – in 7 Fällen laufen die Verhandlungen zum Zeitpunkt noch.
Hintergrundinformationen zu der Karte
Unsere Idee ist inspiriert von Kartenprojekten aus Mexiko und Spanien, durch die auf Femi(ni)zide aufmerksam gemacht wird. Unsere Ziele sind die Datenerhebung, Aufarbeitung und Sichtbarmachung dieser Tötungen. Es fehlt in Deutschland weitgehend an belastbaren und aussagekräftigen Daten. Außerdem ist das Wissen um Femi(ni)zide, das vor allem in Lateinamerika entstanden ist, in Deutschland erst in erst seit sehr kurzer Zeit auf Demonstrationen in medialen und in wissenschaftlichen Veröffentlichungen präsenter geworden.
Wir erfassen Morde an FMLTI im Jahr 2018 in Hessen. Den Zeitraum und die Einschränkung auf Hessen wählen wir, weil die Auswahl der Artikel viel Zeit in Anspruch nimmt und wir Wert auf eine sorgfältige Recherche legen. Da wir als AK Feministische Geographien Frankfurt in Hessen leben, interessierten uns diese Artikel am stärksten. Alle Artikel haben wir in eine Datenbank eingepflegt, in der wir verschiedene Informationen zu den Morden, aber auch zu der Berichterstattung speichern. Der letzte Stand (Sommer 2020) unserer Recherchen ist nun in der Karte zu sehen.
Widerstände: dekolonial, intersektional & queer
Weltweit haben sich in den letzten Jahrzehnten Widerstände gegen patriarchale Gewalt gebildet. Zunehmend wird der Kampfbegriff Femi(ni)zide und der Slogan „nicht eine weniger!“ verwendet, um diese Gewalt zu benennen. Unserer Meinung nach braucht es "ein dekoloniales, inte"rsektionales und queeres Verständnis von Femi(ni)ziden, um auf internationaler Ebene solidarisch zu sein und Widerstände bilden zu können. In den letzten Monaten haben uns verschiedene internationale Debatten begleitet. Hier wollen wir die Möglichkeit nutzen, euch einige vorzustellen und eine Weiterführung der Debatten anzuregen.
8 Thesen zur Revolution
Die Aktivistin und Autorin Verónica Gago ist Teil der Ni una Menos Bewegung und der internationalen feministischen Streikbewegung in Argentinien. In der Veröffentlichung "8 Thesen zur Revolution" sind ihre Kernthesen für eine starke feministische Bewegung mit dem Potential neues zu Erschaffen zusammengefasst. Ihre Thesen finden sich hier .
Feminicidio.net
Die Autor*innen der Karte feminicidio.net sind Aktivist*innen in Spanien und dokumentieren seit Jahren Femi(ni)zide. Sie inspirierten und systematisierten für nachfolgende Projekte die Arbeitsweise, Femi(ni)zide in Karten darzustellen. Zu finden sind die Arbeiten hier .
Abbiamo un piano – Wir haben einen Plan
Abbiamo un piano ist ein kollektives Manifest der feministischen Bewegung Non una die meno in Italien. Das Manifest verdeutlicht, dass eine umfassende Transformation verschiedener Bereiche der Gesellschaft notwendig ist, um patriarchale Gewalt abzuschaffen. Nachzulesen ist es hier .
Learning from decolonial feminist struggles – On the visibilization of femi(ni)cides
Im April 2021 haben wir um AK Feministische Geographien Frankfurt ein Panel zum Thema „Learning from decolonial feminist struggles – On the visibilization of femi(ni)cides“ organisiert. Die Diskussion zeigte, dass ein queeres Verständnis von Gewalt sowie eine dekoloniale (selbst)kritische Kritik der Gewalt unerlässlich sind. Gesehen werden kann die Diskussion hier .
FeminizidMap.org
Die Gruppe rund um die FeminizidMap dokumentiert alle Femi(ni)zide und Tötungsdelikte an Frauen* und Mädchen* in Deutschland. Zu finden ist die Karte hier .
Über den AK und das Projekt
Der Arbeitskreis Feministische Geographien Frankfurt am Main beschäftigt sich innerhalb und außerhalb der Hochschule mit den Beziehungen zwischen Geschlecht und Raum. Unsere wissenschaftliche und praktische Tätigkeit ist dabei explizit feministisch und politisch ausgerichtet. Wir haben im Frühjahr 2019 begonnen, uns mit feministischen und kritischen Kartografien von Gewalt gegen FMLTI in Deutschland zu beschäftigen – insbesondere mit Morden an Frauen zur Absicherung oder Wiederherstellung von patriarchaler Herrschaft. Wir haben umfassend zum Thema recherchiert und Informationen zusammengetragen. Dabei ist uns bewusst, dass wir von dekolonialen Kämpfen gegen Femi(ni)zide weltweit lernen möchten, ohne uns Begriffe unreflektiert anzueignen. Gleichzeitig tragen wir unseren Kampf auf die Straße, indem wir uns unter anderem an Demonstrationen beteiligen. Mit unserer Arbeit im Kollektiv versuchen wir so, Wissenschaft und Aktivismus zu verbinden.